Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Studioaufnahmen mit einfarbigem Backdrop und Außenaufnahmen? Wie unterscheiden sich die beiden voneinander? Eine Antwort: Über den Hintergrund.
Besonders möchte ich über die Authentizität von Fotos sprechen. Authentizität war schon seit der Erfindung der Fotografie das Hauptthema der fototheoretischen Debatte. Heute möchte ich mit dir zusammen einen Blick darauf werfen, wie der Hintergrund eine Fotografie beeinflusst.
Der Hintergrund als Verortungshilfe
Denke doch einmal an ein Porträt- oder Modeshooting im Studio: Das Model geht im Takt der Kamera von einer Pose in die andere über, steht erst lässig da und nimmt dann eine energische Haltung an, fordert den/die Fotograf:in und auch den/die Zuschauer:in mit seinem Blick heraus. Dann schaut es wieder von der Kamera weg, der Blick geht seitlich in die Ferne – wird verträumt.
Aber wo schaut es denn hin? Der Hintergrund des Bildes ist einfarbig weiß geblitzt, wie so oft. Die Aussage, es gäbe keinen Hintergrund, ist also so nicht richtig.
Natürlich ist die Papier- oder Stoffplane, die dort in Wirklichkeit hinter dem Model hängt, eine geschickte Illusion. In Wahrheit schaut das Model, wenn es auf die Seite blickt, vielleicht gerade sehnsüchtig zur Tür, wartet auf die Kaffeepause mit den leckeren Häppchen. Hmmm, Häppchen...
Aber das weiß der/die Betrachter:in nicht, denn das Foto reduziert die reflektierende Plane auf eine farbige, schwarze, oder weiße Fläche. Einen Nicht-Ort, wie er manchmal in modernen Musikvideos einer echten Location gegenübergestellt wird.
Ein gutes Beispiel hierfür ist das Musikvideo zum Song "Sugar" von Maroon 5, in dem man den Eindruck bekommt, die Band spiele auf so vielen Hochzeiten in so kurzer Zeit, dass sie den Song nie von vorne beginnen. Der Auftritt an verschiedenen Locations im Video deutet zwar diese Neuanfänge an, doch zwischendurch findet sich die Band in einem dunklen, leeren Raum wieder, der nur durch eine Ecke oder Nische im Hintergrund als dreidimensionaler Raum erkennbar ist.
Was unterscheidet einen solchen Nicht-Ort nun von echten Hintergründen?
Ein einfarbiger Hintergrund liefert, selbst dann, wenn Schatten auf ihn fallen, keine Möglichkeit zur zeitlichen oder räumlichen Verortung einer Fotografie. Es findet eine Konzentration auf das Wesentliche statt, in diesem Fall das Model und seine Pose, seine Klamotten, seine Mimik und sein Make-up. Also die Identität, die es für das Shooting annimmt.
Jegliche Verortung muss am Model selbst vorgenommen werden: Aus welcher Zeit stammen diese Klamotten? Was stellt diese Person dar? Aus welcher Perspektive ist das Bild aufgenommen? Wirkt es verzerrt? Man schaut sich das Wenige, was man sehen kann, plötzlich viel genauer an, und reagiert auch instinktiv deutlich schneller auf das Bild. Diese Reduktion kann dazu führen, dass du dich leichter mit einer Person im Bild identifizierst – immerhin ist ja jetzt aller Fokus auf das Subjekt gerichtet! Das Design der Kleidung, die Körperhaltung und die Mimik stellen jetzt, zusammen mit der Beleuchtung und der Hintergrundfarbe, sowie einfachen Requisiten, die Identität dar, die der/die Fotograf:in dir vermitteln wollte.
Der Hintergrund kann hier nur simple Emotionen vermitteln – mittels der urprünglich-instinktiven Deutung der Hintergrundfarbe, und über Licht und Schatten, die darauf fallen. Manchmal ist das Modell so nah an der Hintergrundrolle im Studio, dass der/die Betrachter:in gar nicht mehr zwischen Vorder- und Hintergrund unterscheidet. Also sind Vorder- und Hintergrund räumlich sehr nahe beieinander, oder fallen sogar in dieselbe Ebene!
Warum nehmen wir solche Fotografien trotzdem als authentisch wahr?
Die Authentizität, die wir einer Modefotografie aus dem Studio, oder auch einem Passbild zusprechen, kommt also – rein visuell – vom Blick auf das Model, die Requisiten, und auf Licht und Schatten.
Wenn du einmal erlebt hast, wie eine professionelle Hautretusche das Bild verändert, dann weißt du, dass die zeitliche und räumliche Verortung einer Fotografie nie ausreicht, um Authentizität zu garantieren. (Vor allem, wenn dein Blick an der glattgeschmirgelten Haut einfach abrutscht). Das kann also noch nicht alles sein!
Fotografien ziehen allerdings ihre Authentizität nicht hauptsächlich aus diesen visuellen Parametern, sondern aus den sozialen und politischen Institutionen, die sie legitimieren, und ihrem historischen Kontext. Aber dazu schreibe ich in einem anderen Artikel mehr :-)
Für dich ist für heute, neben den oben genannten Punkten, erstmal nur wichtig, dass selbst klar erkennbare Retusche dein Unterbewusstsein nicht davon abhalten wird, sich mit Fotografien und den von ihnen kommunizierten Inhalten zu identifizieren und sich davon beeinflussen zu lassen. Du siehst: Es lohnt sich, über dieses Thema nachzudenken, wenn du auf diese Weise lernen kannst, warum du gestern den neuen Fernseher gekauft hast...
Im nächsten Artikel beschäftigen wir uns mit Nicht-Orten und realen Orten in Fotos, und wie die jeweiligen Räume in Fotografien auf uns wirken. Bei Fragen kontaktiere mich gerne unter dem Artikel!
Ich plane auch noch, ein Video über dieses Thema zu machen, und werde darin auf deine Fragen eingehen.
Bis dahin! Dein Tom
Einen langen Extra-Artikel gibt es jeden Monat für meine Patreons auf:
Bleibt gesund und munter.
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