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Energie als Motor von Kreativität und Transformation

In letzter Zeit, schon bevor meine selbst auferlegte Quarantäne begann, habe ich
an mir eine stete Schlaffheit und Müdigkeit bemerkt, die mich aufregte. Ich
schlief mehr als genug, ich aß gut und ausgewogen und hatte genügend Bewegung.

 

Wie also konnte es sein, dass ich so faul war? Es musste an mir liegen. Ich war
einfach ein fauler Mensch.
Und so schleuderte ich mich selbst in eine Spirale der negativen Gedanken, und akzeptierte meine "Faulheit" als solche. Lag mitten am Tage einfach nur herum, schlief, schaute Videos… Und nörgelte innerlich vor mich hin.

Ich muss unausstehlich gewesen sein.

Klärendes Gespräch

Bis ich irgendwann mit meiner Freundin über diese vermeintliche Faulheit
sprach. Denn die sagte etwas zu mir, worüber ich lange nachdenken musste: Sie
meinte, in letzter Zeit merke sie, dass ich so richtig viel Energie hätte. Man
merke das richtig, wenn ich im Raum sei.

Auf diese Aussage hin wurde ich nur noch frustrierter, und klagte ihr
mein Leid: "Ja, aber wie kann das denn sein, dass du meine Energie
fühlst, obwohl ich doch den ganzen Tag nichts mache! Sieh mal, ich
habe so viel vor, so viele Projekte, und ich schaffe es einfach nicht,
mich aufzuraffen und zu arbeiten. Das nennst du 'viel Energie'?"

Zwischen Kopf und Körper

Ihre Antwort darauf verblüffte mich. Sie sagte mir, Energie werde eben
nicht nur für das, was ich als Produktivität bezeichne, genutzt. In
ihren Kreisen von indischer Religion und Schamanismus sei Energie der
Stoff, aus dem alles um uns herum gemacht sei. Alles sei irgendeine
Form von Energie. Und der Körper kann auch arbeiten, ohne dass ich
mir dessen bewusst bin.

Sie hat mir klargemacht, ich solle auf meinen
Körper hören. Wer hat am Ende Recht? Der Körper, der sagt, ich kann
nicht, oder der Verstand, der sagt, ich muss? Ist es nicht besser,
sich selbst als Einheit zu verstehen? Warum sollten Kopf und Körper
unterschiedliche Meinungen haben?

 

Trotz dieser Erkenntnis fiel es mir sehr schwer, meiner Intuition
genügend Raum zu geben. Einmal damit angefangen, zu ruhen, wenn mein
Körper es verlangte, merkte ich, wie wenig Zeit für meine Arbeit und
Projekte ich jeden Tag auf diese Weise haben würde. So frustriert wie
damals war ich schon lange nicht mehr. Ich wusste, den Kampf mit
meinem eigenen Körper würde ich auf Dauer verlieren, würde ausbrennen.
Nein, kämpfen durfte ich nicht! Aber was tun?

Ein erster Moment der Erkenntnis

Hast du jemals das Gefühl gehabt, in alle möglichen Richtungen gezogen zu
werden, und doch im erzwungenen Stillstand zu verharren?
Das ist das Gefühl, das ich hatte. Mein Verstand versuchte ständig, diesen
Moment der Schwerelosigkeit zu untersuchen, zu interpretieren, zu
unterbrechen. Ich folgte ihm, fiel seiner Verwirrung anheim, verlor mich in
endlosen Stunden des Tuns, ohne je einen Moment bei der Sache zu sein.

Am Ende merkte ich, dass ich nichts wirklich getan hatte. Gab endlich nach, fühlte die
körperliche und geistige Ermüdung, die Stille in mir und um mich, die dem
chaotischen Rauschen folgte, das ich vorher empfunden hatte.

Es war zu dem Zeitpunkt eine wirklich unangenehme, schlimme Zeit für mich.
Ich war im Kampf mit mir selbst. Sobald ich merkte, wie ich entspannte,
verspannte sich alles gleich wieder. Ich wollte aufspringen — gleich fielen
mir tausend Dinge ein, die ich erledigen "musste".
Oft genug gab ich dem Drang nach, und fühlte mich danach unbefriedigt,
leer. Melancholisch.

Eines Tages legte ich mich, auf Anraten meiner Freundin hin, nach dem
Mittagessen auf die Matratze, die bei uns auf dem Boden vor der Balkontür
liegt. Das Schöne an dieser Stelle ist, dass dort die Nachmittagssonne mit all
ihrer Kraft und Wärme hinscheint.
Solange ich wach war, sträubte ich mich gegen die zunehmende Wärme, empfand sie
als ungemütlich.

Ich war aber nicht lange wach. Stunden später, als die Sonne dem
Horizont zuging, wachte ich aus tiefstem Schlaf wieder auf. Mein gesamter Körper
fühlte sich glühend heiß an, aber auf eine merkwürdig angenehme Art. Meine Augen
waren verquollen, und ich fühlte mich wie ein Bär, der nach dem Winterschlaf aus
seiner Höhle kriecht.

Absichtslose Energie

Mit der Zeit entwickelte sich meine Intuition. Ich merkte bald,
wann ich Ruhe bräuchte, und wann ich gut arbeiten könnte. Der Bann war
gebrochen.

In dieser Zeit lernte ich viele neue Dinge über meinen Körper.
Ich fand zum Beispiel heraus, dass mein Körper wärmer wurde, wenn ich
entspannt oder müde war, oder wenn ich gut gegessen hatte.

Recht schnell merkte ich, wie viele Blockaden ich in mir selbst über die Jahre
angelegt hatte. Sie kamen immer dann zum Vorschein, wenn ich unwillig war,
meinem Körper Ruhe zu gönnen, oder, wenn ich, ohne auf die Unterstützung des
Körpers zu warten, anfangen wollte, aktiv zu werden.
Als jemand, der daran gewöhnt ist, mehr rational zu denken, anstatt
auf die eigene Intuition zu hören, hatte und habe ich oft Zweifel am
Prozess, die ich erst sortieren und sanft beseitigen musste, bevor es
weitergehen konnte. Auch Zweifel sind Blockaden, wenn auch oft
hilfreiche.

Auch merkte ich, dass es mir nach wie vor immer möglich ist, diese
Blockaden auszublenden — auch wenn das bedeutet, dass ich über meine
Intuition hinwegsehe.
Dies bewusst zu tun, und nicht, wie vorher, unbewusst, stellt eine
große Veränderung für mich dar. Ich befinde mich in steter
Kommunikation mit mir selbst bzw. meinem Körper.

Ich entdeckte, wie ich durch bestimmte Aktivitäten mehr Energie in
mir selbst finden kann. (Physikalisch gesehen müsste ich wohl sagen:
"Energie für mich nutzbar machen kann", oder: "Energie umwandeln
kann".)
Bewegung gibt mir Energie für mehr Bewegung, gibt mir ein Gefühl der
Frische und Klarheit im Kopf und sorgt dafür, dass mein Hals, der sich
sonst beim kleinsten Zeichen von Stress angespannt und blockiert
anfühlt, für einige Zeit frei anfühlt. Lesen gibt mir Inspiration für
kreative Arbeit, und entspannt meinen Geist — nimmt mir sanft etwas
Wind aus den Segeln.

Es geht nicht nur um Energie an sich, sondern auch um das Lösen von
Blockaden, sodass die Energie frei im Körper fließen kann. Ein
verspannter Nacken, nach vorne gerollte Schultern oder eine
eingefallene Brust können meiner Meinung nach genauso Zeichen von
Blockaden sein, wie schmerzende Hüften oder Füße. Oft war es bei mir
eine falsche Haltung, die mich in schlechte Stimmung oder negative
Energie gebracht hat.

Atem-, Stimm- und Meditationsübungen befreien ebenfalls meinen Hals
von Druck und öffnen den Brustkorb. Gerade Bewegungsmeditation, wie
das Schlenkern der Arme, kann dabei helfen, Blockaden in der
kinetischen Kette des Körpers wahrzunehmen und zu lösen.

(Disclaimer)

Ich bin natürlich kein Arzt oder medizinisch ausgebildet — diese
Ratschläge basieren nur auf meiner eigenen Erfahrung und sollten nicht
als die einzige Wahrheit aufgenommen werden. Vielmehr soll alles das,
was ich hier erwähne, bewusst zum Experimentieren und Reflektieren
einladen!

Deine Energie für dich nutzen

Ich möchte nicht diesem für mich sehr intuitiven Thema eine rationale Maske
aufsetzen. Gleichzeitig glaube ich fest daran, dass eine rationale
Reflektion meiner Gefühle dir einen Mehrwert gegenüber einer
Schilderung der bloßen Gefühle, die ich neu empfinde und die sich verändert
haben, bieten kann. Eine Möglichkeit, meine Einsichten für dich
zu nutzen und sie von Anfang an vom Verstande her zu verstehen — oft ist es
notwendig, auch den Verstand von der Notwendigkeit einer Sache zu überzeugen,
bevor die Gefühle und die Intuition frei agieren können.

Der nächste Schritt, nach dem vorurteilslosen Nutzen von Energie, ist für mich
die Umwandlung von Energie in für mich nutzbare Formen.
Wie funktioniert dieser Prozess? Ist das überhaupt wichtig?
Energiequellen findet man, wie bereits beschrieben, überall um sich herum.
Sadhguru, ein Yogi, dessen Buch "Inner Engineering" ich sehr gerne lese,
empfiehlt zum Beispiel, die eigene Verbindung mit Pflanzen zu verändern. Dazu
stellt man sich vor eine Pflanze oder einen Baum und stellt sich vor, dass das
Kohlenstoffdioxid, das wir ausatmen, von der Pflanze eingeatmet wird. Wir atmen
wiederum den Sauerstoff ein, den die Pflanze produziert.

Energie hat viel mit Gefühlen zu tun, und damit, immer nur die nötige
Spannung zu bewahren, und ich entdecke jeden Tag eine ganz neue Seite
von mir und meiner Verbindung zur Welt um mich herum. Ich wünsche mir,
dass du — im Austausch mit mir, oder auch alleine — ähnliche
Erfahrungen machen kannst, und du dich durch diesen Artikel inspiriert
und bereichert fühlst!

Bleibt gesund und munter.

Kommentar schreiben

Kommentare: 6
  • #1

    Michael (Samstag, 27 Juni 2020 07:40)

    Danke für den tollen Blogartikel Tom. Ich finde es beachtlich, wie gut du darin bist, Erkenntnisse aus deinen subtilen körperlichen Erfahrungen zu gewinnen und wie es dir immer wieder gelingt, dafür über den Horizont hinauszublicken und neue Dinge zu entdecken.

    Ich möchte die Inhalte wirken lassen und mir den Artikel in ein paar Tagen nochmal durchlesen. Mir ist aufgefallen, dass ich an einigen Stellen direkt anknüpfen konnte.
    So kenne ich den Zustand, den du als diese spezifische Art der unangenehmen "Schwerelosigkeit" beschreibst sehr gut. Ich habe ihn für mich einmal beschrieben mit "wenn dir alles zu schnell geht und doch nicht schnell genug".

    Ich würde mich liebend gerne dazu in Person mit dir austauschen.

    P.S.: Danke, dass du dir (offensichtlich!) die Arbeit gemacht hast, diese subtilen Dinge so klar und stilvoll zu schreiben - das macht es mir besonders leicht, anzudocken. Nur der seltene Blogautor schafft es, mich so geschmeidig durch einen längeren Artikel zu bringen. Das geht runter wie Öl.

  • #2

    Tom Kaiser (Samstag, 27 Juni 2020 08:38)

    Hallo Michael!
    Vielen, vielen Dank fürs Lesen und Anknüpfen! Dein Lob geht auch runter wie Öl ;-)

    Gib mir gerne noch einmal Bescheid, wenn du ihn das nächste Mal gelesen haben wirst und bereit für einen Austausch bist! Vor allem dafür, um mich mit anderen darüber austauschen zu können, habe ich den Artikel ja geschrieben.

  • #3

    Donova (Mittwoch, 08 Juli 2020 22:23)

    Hey Tom, heute ging es mir ganz genauso: ich befand mich in einem Zustand der Unentschlossenheit, in dem ich etwas tun, mich sogleich jedoch ausruhen wollte. In diesem Zweispalt schlief ich auf dem Sofa ein. Mein Hals lag geknickt auf der Seite, jetzt ist er verspannt. Dann ging ich aus dem Haus, weil ich verabredet war. Zum Glück!

  • #4

    Tom Kaiser (Donnerstag, 09 Juli 2020 19:20)

    Hallo, danke für deinen Kommentar und das Teilen deiner Erfahrung!

    Weshalb meinst du, du seist "zum Glück" aus dem Haus gegangen? Und was machst du, wenn dein Hals sich so verspannt? :-)

  • #5

    Jerôme (Freitag, 21 August 2020 18:41)

    Moin Tom,

    du hattest mir schon einer Weile diesen Artikel nahegelegt und ich habe das Vorhaben, ihn zu lesen, in einem wie von dir beschriebenen Zustand von Wollen-und-zugleich-nicht-Wollen mit mir herumgetragen.

    Heute habe ich mich dem Artikel schließlich mit der nötigen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit widmen können. Danke für deinen Erfahrungsbericht und das motivierende Schildern deiner Erfolge!

    Ich kenne diesen Zustand nur zu gut und kenne den Frust, wenn die Ratio diesem Problem trotz aller Anstrengung nicht Herr wird. Der Intuition das Feld zu überlassen fällt uns Kopfmenschen eben alles andere als leicht. Umso wertvoller ist der regelmäßige Appell, sich trotzdem in sie hineinfallen zu lassen.

    Danke für den Reminder an die Bedeutung von "self compassion" (mir fehlt gerade ein deutscher Begriff dafür).

    Beste Grüße!

  • #6

    Tom Kaiser (Dienstag, 29 September 2020 11:02)

    Moin Jerôme, danke für deinen ausführlich reflektierten und reflektierenden Kommentar!

    Liebe Grüße!