Dass ich die letzten Wochen hier nichts geschrieben oder gepostet habe, hat seinen Grund vor allem darin, dass ich so viel meiner Arbeitszeit wie möglich in meine Bachelorthesis stecken
wollte.
Jetzt, wo diese abgegeben ist, habe ich wieder mehr Zeit für eigene Projekte und möchte euch heute ein Projekt vorstellen, das ich im letzten Semester (beziehungsweise auch einige Zeit danach
noch) fotografiert habe.
Entstehung des Projektes
Als ich nach meiner Zeit in Lissabon wieder anfing, in Hamburg zu studieren, lernte ich bei einem organisierten Spaziergang um die Alster Jerôme kennen, einen Traceur (jemand, der Parkour macht) alter Schule, und ein großer Bewegungsenthusiast. Wir begannen, zusammen zu trainieren. Über diese Verbindung mit ihm machte ich mir dann in der Hamburger Parkourszene mehr und mehr Freunde. Und da ich für mein Semesterprojekt völlige Entscheidungsfreiheit in der Themenwahl hatte und mich das Thema Parkour als langjähriger Traceur nun einmal persönlich berührt, fiel die Entscheidung nicht schwer.
Parkour – eine Bewegungskunst
Für mich war es stets schwierig, Parkour genau zu beschreiben, wenn mich jemand danach fragte; für mich ist es viel mehr als nur eine Sportart – eher eine Philosophie, eine Sicht- und Denkweise.
Parkour wird im Französischen auch als «L‘art du deplacement» bezeichnet, als „Kunst der Bewegung“; diese Bezeichnung kommt dem, was ich darunter verstehe, am nächsten. Ich
verdanke dieser
Bewegungskunst einen Großteil meiner Lebensphilosophie
sowie meiner persönlichen Entwicklung. Sobald ich mit dem Fotografieren begonnen hatte, wurde mir noch einmal schlagartig vor Augen
geführt, was Parkour alles für mich bedeutet und wie facettenreich die Sportart ist.
Tatsächlich sagen viele Traceure, dass (so unglaublich das auf den ersten Blick erscheinen mag) Parkour sogar eher mental als körperlich sei.
Und ich gebe ihnen Recht: Dadurch, dass man in keinerlei Wettbewerb mit anderen Leuten steht, sondern stets nur mit Hindernissen konfrontiert wird, die man sich selber, seinem Können
entsprechend, mit dem Ziel, sie zu überwinden, aussucht, lernt man sehr gut, sich und seine Fähigkeiten sehr genau einzuschätzen. Gleichzeitig braucht es eine Menge geistige Überzeugungsarbeit,
um mentale Blockaden zu überwinden. Denn man kann alle Kraft und Geschicklichkeit der Welt haben – wenn der Kopf blockiert und man sich vor lauter Zweifeln nicht rühren kann, hilft einem das
wenig. Und jede noch so kleine Veränderung in der Höhe oder der Glätte einer Mauer können einen himmelweiten Unterschied machen. Doch auch diese mentale Komponente, so weiß ich mittlerweile,
lässt sich trainieren.
Entwicklung der Bildsprache
Die ursprüngliche Idee für die Bildstrecke war, alles bei Tageslicht zu fotografieren. Die dabei entstandenen Bilder und der neu hinzugekommene Plan, Bilder bei Nacht hinzuzufügen, haben sich rückblickend nicht sehr gut ergänzt. Der Unterschied war einfach zu groß für mich. Also habe ich mich dafür entschieden, die Idee mit den Nachtbildern weiter zu verfolgen und mich allein darauf zu konzentrieren.
Hier sind einige der Bilder, die ich verworfen habe:
Insgesamt waren die bei Tag aufgenommenen Bilder mir oft nicht spannungsreich genug, sodass ich mich von diesem Punkt an darauf verlegte, ausschließlich bei Nacht zu fotografieren. Für die Technik, die ich verwendete, musste der Hintergrund dunkel sein und der Vordergrund musste eine zusätzliche Lichtquelle aufweisen, damit im Bild eine Leuchtspur von der Bewegung sichtbar werden konnte.
Die Blitztechnik
Grundsätzlich funktioniert die Technik folgendermaßen: Die Kamera wird auf eine halbwegs lange Belichtungszeit eingestellt (bei mir zwischen 1/8s und 3s), und der Blitz so eingestellt, dass er
auf den zweiten Verschlussvorhang auslöst. Auf diese Weise belichtet die Kamera zunächst ohne Blitz die Szene und die Bewegung; der Hintergrund wird sichtbar und helle Kleidung hinterlässt eine
Leuchtspur. Dann, am Ende der Belichtung, friert das Blitzlicht die Bewegung ein.
Der spaßige Teil am Projekt war wirklich das kreative Experimentieren mit verschiedenen Einstellungen und Bewegungen! In dieser Hinsicht bin ich meinen Modellen sehr dankbar, die stets (auch bei
eisiger Kälte) mit Begeisterung dabei waren und mich sogar ermutigt haben, noch etwas mehr zu experimentieren, wenn ich sie schonen wollte.
Für einige Bilder habe ich beispielsweise den Blitz auf den ersten Verschlussvorhang verwendet oder ihn manuell in der Mitte der Belichtung ausgelöst (so zum Beispiel beim Sprungbild von Mauer zu
Mauer, wo Malte in der Mitte der Leuchtspuren eingefroren wurde). Eine weitere Möglichkeit ist, den Blitz mehrfach manuell auszulösen und somit mehrere Teile der Bewegung hintereinander in einem
Bild festzuhalten – oder kurze Bewegungslosigkeit gezielt zu nutzen, um einen weniger harten Look zu bekommen.
Nachbearbeitung
Ein Vorteil der Blitztechnik war, dass die Bilder bereits von Vornherein einen starken Look hatten; die Nachbearbeitung beschränkte sich größtenteils darauf, die ausgewählten Bilder aneinander anzugleichen und den bereits vorhandenen gestalterischen Fokus auf die Traceure zu verstärken, falls nötig.
Fazit
Für mich erzählt diese Serie, über all die verschiedenen Bewegungen hinweg, eine Geschichte: Sie zeigt Körperbewusstsein, Selbstbewusstsein, Kraft, Kreativität und Freude an der Bewegung – und war insofern ein voller Erfolg für mich, denn das sind die äußeren Faktoren von Parkour, die ich darstellen wollte.
Letztendlich bin ich sicher, dass man auch aus den anderen Fotografien eine sinnvolle Serie hätte zusammenstellen können – aber die Entscheidung, den Stil weiter einzugrenzen, hat mir (und der Serie) zu dem Zeitpunkt sehr gut getan. Jetzt habe ich jedenfalls eine Basis an Erfahrung, auf der ich aufbauen kann, um weiter diese Szene von Bewegungskünstlern zu dokumentieren.
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Ein Lennart? (Donnerstag, 24 Mai 2018 19:16)
Der Artikel ist ein cooler Einblick in den Sport, mir war bisher nicht so wirklich bewusst, wie viel Kontrolle man dort über sich haben muss.
Die Bilder verstärken die noch einmal deutlich und machen dabei noch einmal sehr deutlich, dass Fotos einen kurzen Moment einfangen, den man in Realität nicht in dem Detailgrad wahrgenommen hätte.
Ein echt cooles Projekt!
Tom (Donnerstag, 24 Mai 2018 20:07)
Hallo Lennart,
danke für deinen Kommentar!
Das freut mich wirklich zu lesen, dass dir das Projekt gefällt!
Und auch, dass ich anscheinend meinen Zweck erreicht habe.
So etwas sollte ich wirklich öfter machen...